Unter den zahlreichen physikalischen Kräften, die auf einen Rennradfahrer einwirken, spielt der Rollwiderstand eine entscheidende Rolle. Neben dem Gewicht und dem Luftwiderstand des Fahrers ist der Rollwiderstand die drittgrößte Kraft, die beim Rennradfahren Widerstand erzeugt. Der Rollwiderstand kann etwa 9% des Gesamtwiderstands ausmachen. Es lohnt sich also, einen genaueren Blick auf den Rollwiderstand zu werfen, um diesen zu optimieren.
Wodurch entsteht Rollwiderstand?
Rollwiderstand entspricht der Energie, die beim Abrollen des Reifens verloren geht. Er resultiert aus der elastischen Verformung der Reifen während des Kontakts mit der Strasse. Diese Verformung erzeugt Reibung, welche die Fortbewegung des Rads behindert und als Wärme abgeführt wird. Hinzu kommen weitere Faktoren wie die Reibung zwischen Schlauch und Reifen sowie die Beschaffenheit der Strasse. Auf unebener Strasse wird das Fahrer-Fahrradsystem leicht angehoben und verbraucht dadurch Energie, was die Fahrt bremst.
Faktoren, die den Rollwiderstand beeinflussen
Der Rollwiderstand wird durch die Beschaffenheit des Strassenbelags, den Reifendruck sowie die Bauweise des Reifens beeinflusst (Reifendurchmesser, Breite, Wandstärke, Aufbau, Profil).
Strassenbelag und Reifendruck
Die Beschaffenheit der Strasse spielt eine wesentliche Rolle bei der Wahl des Reifens und des optimalen Reifendrucks. Ein glatter, frisch asphaltierter Belag bietet generell weniger Widerstand als eine rissige oder holprige Strasse.
Um den Rollwiderstand möglichst gering zu halten, wäre auf einer ebenen Oberfläche theoretisch ein möglichst hoher Reifendruck gefragt, um die Verformung des Reifens und die Kontaktfläche mit der Strasse möglichst gering zu halten. Bei unebenen Belägen führt ein zu hoher Reifendruck jedoch zu einer Verminderung der Abfederungswirkung des Reifens, was zu einer grösseren Anhebungsbewegung des Rennrads führt und den Gesamtwiderstand erhöht.
In der folgenden Grafik ist der Vergleich zu sehen zwischen dem theoretischen Rollwiderstand (blaue Linie), der unter Laborbedingungen auch auf einem Rollwiderstandsprüfstand gemessen werden kann, gegenüber den tatsächlich gemessenen Widerstand auf einer echten Strasse (grüne Linie).
Es gilt also, den Reifendruck so einzustellen, dass der Wendepunkt nicht überschritten ist und eine optimale Abstimmung zu finden zwischen Reifendruck, Beschaffenheit der Strasse und Gewicht des Fahrers. Generell gilt: Je feiner der Belag, desto höher kann der Reifendruck sein. Ebenfalls entscheidend ist das Gewicht des Fahrers: Je grösser das Gewicht, desto höher liegt der optimale Reifendruck.
Wahl der Reifen
Im Rennradbereich gibt es verschiedene Reifensysteme: Reifen mit Schlauch, Tubeless und Schlauchreifen.
Reifen mit Schlauch: Klassische Reifen mit Schlauch sind weit verbreitet, einfach zu handhaben und bieten eine breite Palette an Modellen. Bei klassischen Reifen ist darauf zu achten, dass der verwendete Schlauch nicht zu schwer ist und möglichst wenig Reibung verursacht. So reduzieren zum Beispiel Latexschläuche die Reibung zwischen Schlauch und Reifen, und moderne TPU (Thermoplastisches Polyurethan) Schläuche sind nur noch etwa 35g leicht.
Tubeless: Tubeless-Reifen eliminieren den Schlauch, was das Gewicht reduziert und das Risiko von Pannen minimiert. Zudem entfällt mit Tubeless-Reifen die Reibung zwischen Schlauch und Reifen, was zu weniger Rollwiderstand führt. Tubeless-Reifen werden immer beliebter, auch weil sie mit weniger Luftdruck gefahren werden können und damit ein komfortableres Fahrgefühl bieten.
Schlauchreifen: Schlauchreifen bieten eine ausgezeichnete Strassenlage und sind bei Profis beliebt. Sie erfordern jedoch spezielle Felgen, und die Montage erfolgt mit Klebstoff oder Klebeband. Die Behebung eines Schadens auf dem Feld ist vergleichsweise schwierig. Felgen für Schlauchreifen sind etwas leichter, weil weniger Material für die Felgenflanke verwendet werden muss.
Breite Reifen rollen leichter als schmale
Diese Aussage stösst oft auf Skepsis, doch die Erklärung liegt im Einfederungsverhalten. Reifen mit kleinerem Durchmesser weisen bei gleichem Luftdruck einen höheren Rollwiderstand auf, da die Verformung der Reifen durch das geringere Luftvolumen stärker ins Gewicht fällt. Bei gleichem Luftdruck federt der schmale Reifen tiefer ein und muss somit mehr Materialverformung überwinden.
Hinzu kommt die Form der Auflagefläche des Reifens auf der Strasse. Jeder Reifen flacht unter Belastung unten etwas ab, wodurch eine ebene Auflagefläche entsteht. Bei gleichem Luftdruck haben der breite und der schmale Reifen eine gleich grosse Auflagefläche. Während sich der breite Reifen eher in die Breite plattdrückt, hat der schmale Reifen eine schmalere, aber in Fahrtrichtung längere Auflagefläche. Das lange abgeflachte Stück wirkt wie ein Hebelarm gegen die Rollbewegung des Reifens. Beim breiten Reifen wirkt sich die Abflachung weniger in Laufrichtung aus und rollt daher leichter.
Natürlich beeinflusst auch der Aufbau des Reifens den Rollwiderstand. Je weniger Material verwendet wird, desto geringer ist die Verformung. Zudem führt eine höhere Flexibilität des Materials (zum Beispiel durch eine weichere Gummimischung) zu weniger Energieverlust durch Verformung, und ein leichterer Reifen kann schneller beschleunigt werden.
Rollwiderstand vs. Aerodynamik
Nun könnte man meinen, dass man möglichst breite Reifen verwenden sollte. Doch auch hier gibt es einen Wendepunkt, der durch die Aerodynamik des Reifens bestimmt wird. Breite Reifen weisen schlechtere aerodynamische Eigenschaften auf, was sich besonders stark bei hohen Geschwindigkeiten ab 30-35 km/h auswirkt. Deshalb werden im Profiradsport immer noch etwas schmalere Reifen verwendet, obschon ein breiterer Reifen aus Sicht des Rollwiderstands besser wäre. In Kombination mit dem Luftwiderstand ergibt sich jedoch bei hohen Geschwindigkeiten mit einem schmaleren Reifen eine bessere Gesamtperformance.
Pannensicherheit und Langlebigkeit
Last but not least, sei hier auch die Pannensicherheit erwähnt. Extrem leichtrollende Reifen können sehr anfällig sein für Pannen, was deren Verwendung im Alltag wenig sinnvoll macht. Weichere Gummimischungen, die einen geringeren Rollwiderstand aufweisen, haben meist mehr Abrieb und halten daher weniger lang.
Fazit
Insgesamt sind diese Aspekte Teil eines komplexen Zusammenspiels, das nicht nur den Rollwiderstand, sondern die Gesamtperformance beim Rennradfahren beeinflusst. Ein Verständnis dieser Faktoren ermöglicht es Rennradfahrern, ihre Reifenwahl und den Reifendruck entsprechend den voraussichtlichen Belagsverhältnissen anzupassen, um die bestmögliche Leistung zu erzielen.
Die unter Laborbedingungen gemessenen Rollwiderstände der verschiedenen Reifen können auf der Website https://www.bicyclerollingresistance.com/ verglichen werden. Hier einige Beispiele von Reifen, die wir auch an unseren Vélobsessive Rennrädern verbauen:
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